Predigt in der Osternacht 2024
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen, liebe österliche Gemeinde!
Die beiden Höhepunkte des Kirchenjahres feiern wir in der Nacht: die Christmette an Weihnachten und heute die Osternacht. Und dieser Zeitpunkt hat seinen Grund: Gott kommt in unsere Nacht – in die Nacht unseres Menschseins, in die Nacht dieser Welt. Gott kommt in unsere Nacht, um uns zu erretten.
Gott wird Mensch im Dunkel einer lieblosen und unversöhnten Welt. Und Gott ist uns nicht fern in der Nacht der größten Bedrängnis. Er steht zu uns Menschen in der Nacht des Leidens und in der Nacht des Todes. Und Gott verlässt uns auch nicht in der Nacht des Zweifels und der Verzweiflung. Gott errettet uns aus dem Dunkel der Gottferne und aus dem Nebel der Sünde, wenn wir es nur wollen und zulassen, dass er uns seine rettende Hand entgegenstreckt.
Und deswegen, liebe Mitchristen, tut es unserem Glauben gut, sich wenigstens an den Brennpunkten des Kirchenjahres diesem Dunkel auszusetzen. Wir müssen spüren können, in welches Dunkel Gottes Sohn hinein geboren wird. Wir müssen spüren können, aus welcher Todesnacht das Licht der Auferstehung sich verbreitet und aus welcher nächtlichen Totenstille die Osterbotschaft der Auferstehung sich Gehör verschafft mit einem neuen Lied. Deshalb haben wir die Feier dieser Osternacht mitten in der Nacht begonnen, um uns mit dem beginnenden Tag auf den hin auszurichten, den die Kirche als „Morgenröte unseres Heils“ bezeichnet.
Gott kommt in unsere Nacht, um uns zu erretten. Um diese Glaubenswahrheit wahr-zu-nehmen, muss man gelegentlich auch die elektrische Beleuchtung ausschalten, die uns dem Trugschluss ausliefert, in unserer modernen, durchgestylten Welt gäbe es keine Dunkelheiten mehr. Das bewusste Erleben der Dunkelheit kann uns dagegen wieder die Augen öffnen, wo in unserer Nähe Menschen im Dunkeln leben. Gerade sie sollten am größten Fest unseres Glaubens den wichtigsten Platz einnehmen in unseren Herzen. Besonders für sie sollen unsere Osterkerze und die vielen kleinen Osterkerzen brennen. Denn bei Licht betrachtet gibt es nicht nur in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Erde, sondern auch bei uns viel zu viel Dunkel und Unheil. Deswegen sollten wir genau dafür das österliche Licht der Liebe und Freude anzuzünden, das uns Christus gebracht hat. Und dann ist es natürlich ein wertvolles Zeichen, auch auf den Friedhöfen wieder das österliche Licht anzuzünden für unsere Verstorbenen, aber auch für diejenigen unter uns, die die Trauer um einen geliebten Menschen in ein dunkles Loch, vielleicht sogar in einen langen dunklen Tunnel gestoßen hat.
Liebe Mitchristen, es ist kein Zufall, dass in der Liturgie der Osternacht immer wieder diese Symbolik von Dunkel und Licht, von Nacht und Tag vorkommt. Und diese Symbolik bringt uns an die Grenze zwischen Tod und Leben, an diese schier unüberwindliche Grenze, die nur Gott überwinden, überbrücken, überspringen kann.
Nicht nur das Osterevangelium spricht von dieser Symbolik von Dunkel und Licht, wenn die Frauen in aller Frühe zum Grab gehen und dort ankommen, „als eben die Sonne aufging“, auch die Lesungen des Alten bzw. Ersten Testaments kennen diese Symbolik von Dunkel und Licht. Nicht zuletzt in der Befreiungsgeschichte der Pessacherzählung unserer jüdischen Schwestern und Brüder hören wir davon. Denn auch die Rettung am Schilfmeer geschieht in der Nacht – in der Nacht der größten Bedrängnis. Doch die Freude über diese Rettung ist nicht ungetrübt: Aus Mitleid über den Tod der ägyptischen Erstgeborenen wird bei der jüdischen Pessachfeier an dieser Stelle nicht der ganze Becher mit Wein gefüllt. Gott aber, so erinnert man sich in dieser Nacht der Nächte, hat es nicht versäumt, in die Nacht der Geknechteten und Unterdrückten zu kommen. In die die Nacht derer, die auf ihn vertraut haben. Und ihnen, den Macht- und Hilflosen verhilft er zu einer unverhofften Chance gegen die waffenstarrende Großmacht, die sie nur als billige Arbeitskräfte missbraucht und ihre Menschenwürde mit Füßen tritt.
Diese Symbolik der Rettung aus der tiefsten Nacht setzt sich fort in der Taufwasserweihe und in jeder Taufe, die wir im Lauf des Jahres feiern. Denn Taufe bedeutet – nach den Worten des Apostels Paulus – mit Christus sterben und begraben werden, also tot sein für alles, was aus der Sicht Gottes tot ist und die Spuren und den Keim des Todes in sich trägt. Getauft werden, sich taufen lassen und als Erwachsener die in der Kindheit vollzogene Taufe ratifizieren - das bedeutet sterben für die Sünde, sich abwenden von der Verstrickung in das Böse, um mit Christus auferweckt zu werden zu einem neuen und echten Leben, das diesen Namen verdient, auferweckt werden zu einem Leben in Fülle, auferweckt werden zu einem Leben mit Gott, zu einem Leben in echter Solidarität mit den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung.
Doch dieses hintergründige Geheimnis der Taufe erschließt sich nur Schritt für Schritt. An der Symbolik der Taufe gibt es immer noch etwas Neues zu entdecken, gerade wenn man als Jugendlicher oder Erwachsener bewusst Ja sagt zur eigenen Taufe, wenn man sich bewusst dafür entscheidet, nach besten Kräften aus diesem christlichen Glauben heraus leben zu wollen.
Und wenn man dieses Ja mit voller Überzeugung ausspricht, dann stellt man umso öfter fest, dass dies oder jenes doch nicht dazu passt, dass dies oder jenes nicht wirklich lebensfördernd ist. Die Tauferinnerung in der Osternacht stellt uns deshalb diese radikalen Fragen auf Leben und Tod. Sie konfrontiert uns mit der Notwendigkeit, uns zu entscheiden – uns zu entscheiden für das Gute oder das Böse, für das Licht oder das Dunkel, für das Leben oder für den Tod.
Und selbst wenn man dem Wort des amerikanischen Franziskaners Richard Rohr zustimmen kann „Wir brauchen ein ganzes Leben, um zu lernen, an unsere Taufe zu glauben“, so zählt doch gerade jetzt wieder, wenn wir nach unserem Glauben gefragt werden, unsere ganz persönliche Entscheidung. Wählen wir also das Leben, stellen wir uns auf Gottes Seite, denn er steht jederzeit zu uns – in hellen und in dunklen Stunden.
Denn Gott hat seinen Sohn von den Toten auferweckt, damit wir wissen, dass er es gut mit uns meint, damit wir wissen, dass er uns beim Namen gerufen und uns in seine Hand eingeschrieben hat als seine einmaligen Geschöpfe. Gott aber will uns seine Geschenke nicht nachwerfen oder überstülpen gegen unseren Willen. Deshalb zählt unsere Freiheitsentscheidung und nichts und niemand kann diese unsere Entscheidung ersetzen. Lassen wir uns also einladen. Entscheiden wir uns für Gott, der sich längst für uns entschieden hat – ganz besonders am Ostermorgen, an dem er Jesus von den Toten auferweckt hat. Amen.
Der Herr ist auferstanden. - Er ist wahrhaft auferstanden. Halleluja.
Stadtpfarrer Franz Reitinger, Deggendorf St. Martin